EINLEITUNG
Paradoxien, Widersprüche, Aporien - Die Ordnung des Diskurses
als Diskurs der Ordnung
Die Aufnahme der Arbeit Michel Foucaults ist auch mehr als zehn Jahre
nach seinem Tod durch heftige Kontroversen gekennzeichnet. Insbesondere
die von ihm ausgearbeitete „Genealogie“ oder „Analytik der Macht“ ist
immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher und politischer Diskussionen
gewesen und hat sowohl lebhafte Zustimmung wie vehemente Ablehnung erfahren.
Mit dieser Zustandsbeschreibung ist sicher schon ein erstes Merkmal seiner
Arbeit benannt: Sie läßt offenbar niemanden unberührt.
Die Schärfe der Auseinandersetzung zeigt, dass Foucaults Bücher
etwas treffen, dass sie ihre LeserInnen provozieren. Sie scheinen Fragen
aufzuwerfen oder Antworten zu versprechen, die alle angehen und niemanden
teilnahmslos lassen.
Dies liegt nur zum Teil an der Alltäglichkeit der Gegenstände,
über die Foucault schreibt. Es geht nicht nur um den Inhalt der Geschichte
des Wahnsinns, der Geburt der Klinik, der Geburt des Gefängnisses
oder der Geschichte der Sexualität; in Frage stehen vor allem die
Begriffe, Konzepte und die Methodik seiner Arbeit: Die Art und Weise,
wie Foucault mit seinen Gegenständen umgeht, wie er sie anordnet
und untersucht, irritiert uns und fordert uns heraus, Stellung zu beziehen.
Wie kaum ein anderer Theoretiker polarisiert Foucault; seine Arbeiten
sind der Ausgangspunkt für eine ungewöhnliche und scheinbar
unversöhnliche Frontstellung:
Auf der einen Seite stehen jene, die in Foucaults Machtanalyse die Fortsetzung
und Weiterentwicklung gesellschaftskritischer Ansätze sehen, die
auf die Analyse sozialer Hierarchien und politischer Herrschaftsprozesse
zielen. Aus dieser Perspektive sind seine Bücher nicht nur historische
Studien; sie vermitteln darüber hinaus eine Reihe wichtiger Einsichten
in das konkrete Funktionieren gesellschaftlicher Machtprozesse. Weniger
eine sich selbst genügende Rekonstruktion historischer Gegenstände
und vergangener Epochen seien sie vielmehr einer „Geschichte der Gegenwart“
(Foucault) verpflichtet, die relevante Instrumente für aktuelle politische
und soziale Auseinandersetzungen bereitstellt. Dieser Praxisbezug manifestiere
sich nicht nur in dem Anspruch Foucaults, „Theorie als Werkzeugkiste“
zu betreiben, sondern werde zudem durch sein persönliches Engagement
in einer Vielzahl von politischen Gruppen und sozialen Bewegungen unterstrichen.
Diese politischen Aktivitäten umfaßten ein weitgespanntes Feld,
das von antirassistischen Initiativen über eine Informationsgruppe
zur Situation in den Gefängnissen zu einem Unterstützungskomitee
für vietnamesische boat-people oder der Teilnahme an einer Solidaritätsgruppe
für die polnische Gewerkschaft Solidarnosz reichte. Gleichzeitig
habe Foucault zu einer kritischen Selbstreflexion intellektueller Arbeit
beigetragen, indem er die politische Bedeutung von Produktion, Organisation
und Verteilung des Wissens thematisierte. In dieser Hinsicht scheint die
„Genealogie der Macht“ der Tradition einer kritischen Gesellschaftstheorie
nahezustehen, die auf die Analyse und Kritik gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse
zielt.
Auf der anderen Seite befinden sich diejenigen, die das kritische Potential
und die politische Intention der Arbeit Foucaults durch eine Vielzahl
ungelöster Probleme verstellt sehen. Die Sicht der Dinge ist hier
eine ganz andere. Foucault möge ein politischer Aktivist gewesen
sein, die Grundlage für dieses Engagement lasse sich jedoch nicht
aus seiner theoretischen Arbeit ableiten. Tatsächlich werfe die Machtanalytik
eine Reihe epistemologischer und normativer Fragen auf, die sie nicht
zufriedenstellend beantworten könne. Die Problemdiagnose lautet,
dass die theoretischen Weichenstellungen Foucaults weniger zu einer Kritik
moderner Machtmechanismen taugen als dass sie vielmehr jede Möglichkeit
ihrer substanziellen Kritik suspendieren. Der Grund dafür liege in
der Anlage des Machtbegriffs. Dieser sei so umfassend angelegt, dass eine
Gesellschaft ohne Machtverhältnisse undenkbar werde. Foucault vermenge
zwei inkompatible Machtbegriffe: Macht als Bedingung der Existenz von
Gesellschaft und Macht als soziale Asymmetrie. Das unvermittelte Nebeneinander
von kritischem Interesse und neutraler Anlage des Machtbegriffs offenbare
sich in einer Reihe von Paradoxien, Widersprüchen und Aporien, die
im Ergebnis dazu führen, dass Foucaults Kritik ihrem Anspruch nicht
gerecht werden könne.
Bei dieser Problemlage handelt es sich jedoch weniger um eine einfache
Polarisierung, bei der die eine Partei der anderen gegenübersteht.
Die Trennungslinie verläuft vielmehr quer. Zum einen sind es meist
dieselben TheoretikerInnen, die sowohl die kritischen Vorzüge als
auch die immanenten Probleme der Arbeit Foucaults hervorheben: Dem Lob
für die empirische Reichhaltigkeit und Anschaulichkeit der Analyse
steht meist eine ebenso eindeutige Ablehnung des normativ-konzeptionellen
Rahmens entgegen. Zum anderen sind es offenbar dieselben analytischen
Instrumente, die sowohl ein tiefes Verständnis in das Funktionieren
von Machtprozessen ermöglichen wie zugleich deren Kritik obsolet
erscheinen lassen: Erst die Aufgabe der normativen Perspektive erlaube
einen theoretischen Blick, der die Feinheit und Tiefe gesellschaftlicher
Machtprozesse in einer „Mikrophysik der Macht“ (Foucault) zu erkennen
vermag.
Diese erstaunliche Konstellation markiert den Ausgangspunkt dieser Arbeit:
Wie waren so völlig unterschiedliche, teilweise konträre und
miteinander unvereinbare Einschätzungen von Foucaults Arbeit möglich?
Woher kamen diese Ambivalenz und diese Irritation, die von Foucaults Büchern
ausgingen? Foucaults Machtanalytik hat ihren Platz sowohl in Debatten
um die ideologischen Grundlagen sozialer Herrschaft wie in rassismustheoretischen
Fragestellungen; sie wurde für eine Fortentwicklung des westlichen
Marxismus ebenso herangezogen wie für die feministische Patriarchatsdiskussion.
Gleichzeitig ist es gerade ihr Beitrag zu einer Kritik gesellschaftlicher
Machtverhältnisse, der in Abrede gestellt wurde. Umso länger
ich mich mit dieser Frage beschäftigte, desto dringlicher wurde eine
Antwort, aber erst sehr viel später sollte ich erkennen, dass die
gesuchte Antwort in einer „Verschiebung“ der Frage bestand.
I.
Die Debatte um die politischen Implikationen der Machtanalytik Foucaults
wurde zunächst vor allem im anglo-amerikanischen Raum geführt.
Nancy Fraser machte bereits Anfang der 80er-Jahre in einer Reihe von Aufsätzen
auf eine eigentümliche Spannung in der Arbeit Foucaults aufmerksam,
die sie in einer differenzierten Argumentation aufdeckt. Auf der einen
Seite - so Fraser - zeichnen sich Foucaults Analysen durch empirischen
Reichtum und eine anschauliche Beschreibung der Wirkungsweise moderner
Machtmechanismen aus. Die Vorzüge der von ihm ausgearbeitenen Genealogie
bestehen danach in einem theoretischen Ansatz, der den zentrumslosen und
produktiven Charakter von Machtprozessen herausarbeitet und einen analytischen
Blick auf ihre mikrophysikalische und alltagspraktische Bedeutung ermöglicht.
Eine unmittelbare Folge dieser theoretischen Weichenstellung sei, dass
sie die Grenzen ideologiekritischer, ökonomistischer und staatszentrierter
Erklärungsversuche deutlich machen könne. Die Bedeutung Foucaults
liege darin, dass er die empirische und konzeptionelle Basis liefere,
um Phänomene wie Sexualität, Familie, Schule, Medizin etc. als
politische Phänomene zu behandeln (Fraser 1981, 42-44).
Andererseits werden diese unbestreitbaren Errungenschaften der genealogischen
Geschichtsschreibung allein durch eine folgenreiche methodologische Vorentscheidung
erzielt: die Suspension normativer Fragen, die eine Unterscheidung zwischen
legitimen und illegitimen Formen der Macht erlauben würden. Fraser
zufolge sind es dieselben methodologischen Strategien, die eine empirisch
und politisch wertvolle Beschreibung moderner Machtformen ermöglichen
und zugleich eng mit normativen Problemen behaftet sind. Ihr Vorwurf lautet,
dass Foucault an keiner Stelle deutlich macht, in welchem Umfang er die
normative Problematik ausklammert: Stellt er nur den normativen Rahmen
der liberalen politischen Theorie in Frage, oder bricht er mit Begründungsfragen
überhaupt? Bei Foucault bleibe unklar, ob er nur ein bestimmtes normatives
und klar abgegrenztes Konzept zurückweise oder ausnahmslos jeden
Begründungsversuch ablehnt und einen kulturellen und ethischen Relativismus
vertritt (Fraser 1981, 35-37).
Für Fraser stellt sich daher das zentrale Problem folgendermaßen:
»Wie kam er aber von der Suspendierung der Frage nach der Legitimität
moderner Macht zu dieser engagierten Kritik der Bio-Macht?« (Fraser
1981, 47). Tatsächlich zeige bereits die Begriffswahl („Disziplinargesellschaft“,
„Kerkerarchipel“, „Herrschaft“, „Unterwerfung“), dass Foucaults Machtanalytik
alles andere als neutral und desinteressiert sei; auf der anderen Seite
aber bleibe Foucault die Antwort auf zentrale politische Fragen schuldig:
»Warum ist der Kampf der Unterwerfung vorzuziehen? Warum soll der
Herrschaft Widerstand geleistet werden?« (Fraser 1981, 48; Fraser
1985, 82/83).
Um diese Fragen beantworten zu können, sei ein Rekurs auf normative
Kriterien unumgänglich. Fraser geht noch einen Schritt weiter: Gesellschaftskritik
müsse nicht nur die Kriterien bereitstellen, anhand derer sich bessere
von schlechteren sozialen Praktiken unterscheiden, sie solle darüber
hinaus auch akzeptable von nicht-akzeptablen Formen von Widerstand unterscheiden
können. Sie dürfe nicht allein konstatieren, dass Veränderung
möglich sei, sondern müsse angeben, welche Form sie annehmen
sollte. Fraser besteht darauf, dass einzig vor dem Hintergrund alternativer
oder besserer Möglichkeiten eine theoretische Kritik ihre politische
Wirksamkeit entfalten kann. Gerade diese alternativen Vorstellungen findet
sie in Foucaults Schriften nicht: »Ich finde weder Hinweise auf
alternative Normen in Foucaults Schriften, noch Anhaltspunkte dafür,
wie ‘Herrschaft’, ‘Unterjochung’, ‘Unterwerfung’ etc. in einer vollkommen
neuen, ‘postliberalen’ Weise interpretiert werden sollen« (Fraser
1981, 48). Die Kritik an der Bio-Macht in Verbindung mit der Abwesenheit
jeder alternativen Vorstellung führe zu einer „paradoxen Lage“: Foucault
könne die normativen politischen Urteile, die er dauernd fällt
(also z.B. dass Disziplin „schlecht“ sei), weder erklären noch rechtfertigen
(Fraser 1985, 67/68; vgl. auch Fraser 1983).
Mit dieser Einschätzung steht sie nicht allein. Ebenso wie Fraser
hebt auch Charles Taylor in seiner Auseinandersetzung den »paradoxen«
Charakter der Arbeit Foucaults hervor (Taylor 1984, 188; 234). Dieser
besteht für ihn darin, dass Foucaults Untersuchungen sich zum einen
in die Tradition einer kritischen Gesellschaftstheorie einzufügen
scheinen, da sie eine Analyse und Kritik gegenwärtiger sozialer Verhältnisse
formulieren; andererseits aber lehnt Foucault jede Vorstellung eines noch
nicht verwirklichten oder unterdrückten Guten ab und möchte
sich »von der scheinbar unausweichlichen Folgerung distanzieren,
dass nämlich die Negation oder die Überwindung dieser Zustände
ein Gutes fördert« (Taylor 1984, 188). Foucaults Arbeit erlaube
zwar wichtige Einsichten in moderne Politik, auch seien seine Analysen
in aktuelle Auseinandersetzungen eingegangen. Das Problem bestehe jedoch
darin, dass Foucault »eine von Nietzsche herstammende Einstellung
der Neutralität gegenüber den verschiedenen Machtsystemen einnimmt
und somit die Bewertungen zu neutralisieren scheint, die aus seinen Analysen
entspringen« (Taylor 1984, 294).
In ähnlicher Weise wie Fraser sieht auch Taylor den Grund für
die normative Neutralisierung in dem besonderen konzeptionellen Zuschnitt
eines Machtbegriffs, der weder auf Freiheit noch auf Wahrheit bezogen
sei. Für Taylor ist dies jedoch ein unmögliches Vorgehen: »Dennoch
erfordert die Idee der Macht oder der Herrschaft die Idee eines Zwangs,
der - durch menschliches Handeln vermittelt - auf jemanden ausgeübt
wird. Andernfalls verliert der Begriff der Macht jede Bedeutung«
(Taylor 1984, 220). Von Macht könne sinnvoll nur gesprochen werden,
wenn von ihr Begierden, Interessen, Absichten etc. unterschieden werden
könnten, über die Macht ausgeübt werde. Da Foucaults Arbeiten
nach Taylor diesen Zwangscharakter der Macht nicht mehr thematisieren,
verlieren sie für ihn ihren kritischen Status. Dieser würde
weiterhin erfordern, dass über die Negation bestehender Zustände
hinaus eine positive Perspektive eröffnet wird, in der die Demaskierung
nicht nur zu einer Destabilisierung der Machtverhältnisse führt,
sondern zu neuen, freieren, weniger zwanghaften Formen von Gesellschaft
(Taylor 1984, 226/227; Taylor 1985, 378/379).
Diese Perspektive sei Foucault jedoch verschlossen. Seine Orientierung
an Nietzsche führe zu einem »monolithischen Relativismus«
(Taylor 1984, 232), der jeden Befreiungsanspruch dementieren müsse.
Da jedes Machtregime die ihm eigene Wahrheit produziert, kann Veränderung
nicht mehr als Reformstrategie innerhalb eines Regimes formuliert, sondern
nur als Übergang zu einem anderen Regime gedacht werden. Aber auch
in diesem Fall besteht für Hoffnung kein Raum. Die Veränderung
von einem Regime zu einem anderen bringt keinen Gewinn an Freiheit oder
Wahrheit mit sich, da jedes in einem neuen Kontext redefiniert werden
muß, sie also untereinander nicht vergleichbar sind. Diese Annahme
führe schließlich zu der absurden Konsequenz, dass Foucault
nicht mehr angeben könne, ob er lieber in der chinesischen Sung Dynastie,
als Untertan Hammurabis im antiken Babylon oder als US-Amerikaner im 20.
Jahrhundert leben wolle (Taylor 1984, 232; Taylor 1985, 382/383).
Auch Michael Walzers Interesse gilt der »politischen Epistemologie«
Foucaults. Ebenso wie Fraser und Taylor stellt er eine »Inkohärenz«
(Walzer 1986, 64/65) der foucaultschen Position fest. Diese bestehe darin,
dass Foucault zum Widerstand aufrufe, ohne zu erklären, wie dieser
Widerstand begründet werden könne und welche Form er annehmen
solle. Das Problem liege in dem von Foucault vertretenen Relativismus,
der seiner Kritik jeder Grundlage beraube: »Foucault glaubt, dass
Wahrheit von den Mitteln zu ihrer Durchsetzung abhängt und Wissen
von den Zwängen, die dieses produzieren. Dann gäbe es keinen
unabhängigen Standpunkt und keine Möglichkeit, kritische Prinzipien
zu entwickeln« (Walzer 1986, 64). Foucaults These, dass es keine
neutrale Perspektive gibt, von der ausgehend Kritik zu formulieren ist,
sondern dass jede Position immer schon in Machtprozesse eingebunden ist,
führt ihn Walzer zufolge letztlich zu einer Spielart der anarchistischen
Option. Anders jedoch als solche Anarchisten, die in der Abschaffung von
Machtregimes die Wiederherstellung eines freien, unabhängigen Subjekts
sehen, ist Foucault selbst diese utopische Perspektive verbaut. Da Männer
wie Frauen immer schon Produkte von Codes und Disziplinen sind, ist die
Zielvorstellung einer freien Individualität abgeschnitten: »Daher
ist Foucaults radikaler Abolitionismus ... weniger anarchistisch als vielmehr
nihilistisch. Denn auf der Grundlage seiner eigenen Argumente bleibt entweder
überhaupt nichts übrig, was man menschlich nennen könnte;
oder es entstehen neue Regeln und Disziplinen, von denen wir Foucault
zufolge nicht erwarten können, dass sie besser sind als diejenigen,
mit denen wir gerade leben. Schließlich gibt er uns ebenso wenig
die Möglichkeit zu wissen, was ‘besser’ heißen könnte«
(Walzer 1986, 61).
Walzer zieht eine Parallele zur politischen Theorie von Thomas Hobbes.
So wie dieser die Institutionalisierung der Souveränität für
eine (lebens-)notwendige Bedingung für die Existenz von Gesellschaft
gesehen habe, so sei für Foucault Disziplin unverzichtbar für
moderne Gesellschaften. Da Foucault jedoch gleichzeitig Disziplin in jeder
nur möglichen Form ablehne, mache für ihn - ebenso wenig wie
für Hobbes - die Existenz oder Nicht-Existenz von Rechten oder das
konkrete Funktionieren des politischen Systems einen Unterschied in ihrer
Bewertung: Die totalitäre Diktatur wie auch die liberale Demokratie
sind nur zwei verschiedene Formen der einen Disziplinargesellschaft, auf
die sie sich beide zurückführen lassen. Auch bei Walzer macht
die diagnostizierte Abwesenheit von normativ gehaltvollen Kriterien letztlich
die »katastrophale Schwäche« (Walzer 1986, 67; vgl. Walzer
1988, 261-286) der politischen Theorie Foucaults aus.
Richard Bernstein geht es in seinem Aufsatz über Foucault ebenfalls
um den besonderen Stellenwert und die Form der Kritik in Foucaults Arbeit.
Er identifiziert eine ganze Reihe miteinander verbundener Themen und versucht
in einer differenzierten Argumentation die kritische Intention Foucaults
deutlicher zu machen; gleichzeitig arbeitet Bernstein in jedem der angeführten
Themenkomplexe auch ungelöste, grundsätzliche ethisch-politische
Probleme heraus, die sich aus den Fragen Foucaults ergeben. Trotz seiner
anfänglichen Ankündigung einer „sympathischeren“ Lektüre
Foucaults als der von Fraser und Taylor gelangt er am Ende zu dem Ergebnis,
dass Foucault eine Vielzahl von selbstgestellten Problemen nicht lösen
könne und an der Aufgabe einer normativen Begründung seiner
jeweiligen Stellungnahmen theoretisch gescheitert sei. Zwar eröffne
Foucault neue Möglichkeiten von Kritik, illustriere die komplexe
Wirkungsweise von Machtmechanismen und zwinge uns, von liebgewonnenen
Vorstellungen und beruhigenden Überzeugungen Abschied zu nehmen,
indem er die Grenzen traditioneller theoretischer Konzepte aufzeigt. Dennoch
sei die Beschränktheit eines solchen Ansatzes unverkennbar: »Allerdings
bleiben trotzdem ... schwerwiegende Probleme, die nicht gelöst sind.
Sie drehen sich alle um die Frage nach der ethisch-politischen Perspektive,
die seine Kritik anleitet« (Bernstein 1989, 424).
Die in der angelsächsischen Diskussion um die normativen Implikationen
der Arbeit Foucaults herausgestellten Probleme bestimmen auch die deutsche
sozialwissenschaftliche und philosophische Rezeption. Immer wieder
wurde auf die »Bodenlosigkeit« (Engler 1990, 882) einer Machtkritik
hingewiesen, die sich ihrer eigenen Grundlagen nicht mehr versichern könne.
Auf der einen Seite wurde der Detailreichtum und die Anschaulichkeit der
Analysen Foucaults hervorgehoben, auf der anderen Seite jedoch der Verdacht
laut, dass der Zugewinn an diagnostischer Tiefenschärfe mit dem Verzicht
auf normative Beurteilungen erkauft sei. Aufgrund der gewählten theoretischen
Konstellation vertrete Foucault letztlich einen »Monismus«
(Fink-Eitel 1980, 64; Fink-Eitel 1990, 88) bzw. eine »Metaphysik«
(Breuer 1987, 324) der Macht. Foucaults »Paradox eines merkwürdigen
Zusammengehens von rechter Erkenntnistheorie und linker Praxis«
(Münster 1982, 42) paralysiere sein eigenes theoretisches Unternehmen:
Auch dieses sei ein Resultat von Machtverhältnissen und produziere
Machtwirkungen. Die Folge sei, dass Foucault weder die Subjekte des Widerstandes
noch die Krite-rien der Kritik ausweisen könne: Seine Theorie werde
antihumanistisch und irrational.
Die deutsche Auseinandersetzung mit Foucault ist durch die Interpretation
von Jürgen Habermas und dessen spezifische Aneignung der französischen
Nachkriegsphilosophie entscheidend geprägt worden. Gleichzeitig war
die Einschätzung von Habermas auch für die internationale Diskussion
von großer Bedeutung. Seine Kritik an Foucaults Machtanalytik, die
er in zwei Kapiteln seines Buches Der philosophische Diskurs der Moderne
formuliert, ist daher sicherlich eine der einflußreichsten.
Habermas unternimmt in den betreffenden Kapiteln das ambitionierte Projekt
einer Rekonstruktion der intellektuellen Entwicklung Foucaults von seinem
ersten Buch bis hin zur „Geschichte der Sexualität“. Im Zentrum seiner
Kritik steht der Vorwurf der mangelnden Selbstbezüglichkeit der theoretischen
Arbeit Foucaults: Foucault denke »seine eigene genealogische Geschichtsschreibung
nicht genealogisch« (Habermas 1985, 316). Die Argumentation von
Habermas konzentriert sich vornehmlich auf den „performativen Widerspruch“,
dem Foucault nicht entgehen könne, wenn er auf der einen Seite die
Humanwissenschaften einer Machtkritik unterziehe, auf der anderen Seite
aber für die „Genealogie“ selbst wissenschaftliche Kriterien heranziehen
müsse, also die Werkzeuge der Vernunft ihrerseits für eine Kritik
der Vernunft einsetzt. Die defiziente Thematisierung der eigenen Position
hat nach Habermas einen hohen theoretischen Preis: „Präsentismus“,
„Relativismus“ und „Parteilichkeit“ seien die Folgen einer kritischen
Geschichtsschreibung, die sich weder über den Horizont ihrer Ausgangssituation
hinausbewegen noch ihre normativen Grundlagen ausweisen könne. Letztlich
bleibe das kritische Vorhaben Foucaults in einem »relativistischen
Selbstdementi« befangen und ende in einem »heillosen Subjektivismus«
(Habermas 1985, 330; 324).
Tatsächlich müsse sich Foucaults genealogische Kritik selbst
einer Antwort auf die einfachsten politischen Fragen enthalten. Unter
den von ihm gewählten theoretischen Ausgangsbedingungen bleibe er
uns die Antwort schuldig, warum wir dieser »im Blutkreislauf des
modernen Gesellschaftskörpers zirkulierenden allgegenwärtigen
Macht überhaupt Widerstand leisten sollten, statt uns ihr zu fügen«
(Habermas 1985, 333). Durch die systematische Verbindung von Machtverhältnissen,
Wissensproduktion und Subjektivierungsweisen werde der Machtbegriff in
einer Weise ausgedehnt, die seinen kritischen Gehalt affiziere: Wo ist
das Motiv für eine Veränderung, wenn jede Macht nur eine neue
Macht inauguriert und jede Gegenmacht sich immer schon im Horizont der
Macht bewegt? Es ist diese »paradoxe Verbindung von positivistischer
Einstellung und kritischem Anspruch« (Habermas 1985, 318), die Foucaults
eigenes theoretisches Unternehmen paralysiert: Ebenso wenig wie die inkriminierten
Humanwissenschaften kommt die „Genealogie“ ohne Machtwirkungen aus. Kurzum:
Foucault verwickelt sich in einen »Widerspruch«, »wenn
er seine Kritik der Macht zur Analytik des Wahren derart in Gegensatz
bringt, dass jener die normativen Maßstäbe entgleiten, die
er dieser entlehnen müßte« (Habermas 1984).
Habermas geht es jedoch nicht allein um eine theoretische Widerlegung
Foucaults; vielmehr haben die aufgezeigten „Aporien einer Machttheorie“
für ihn zugleich eine eminent politische Bedeutung. Tatsächlich
begnügt er sich nicht damit, Foucault die Widersprüchlichkeit
seiner theoretischen Positionen vorzuhalten. Dies wäre schon deswegen
unzureichend, da Foucault - wie Habermas richtig erkennt - sich dieser
Aporien »bewußt« ist: Er »sieht dieses Dilemma«
bzw. »ist unbestechlich genug, um diese Inkonsequenzen einzugestehen«
(Habermas 1985, 327; 330; 325). Was Habermas Foucault vorhält, sind
weniger die Aporien selbst als die Art und Weise, wie er damit umgeht.
Dass Foucault in seinen Widersprüchen »ausharrt« (Habermas
1984), disqualifiziert ihn nicht nur theoretisch, sondern macht diese
Form der Kritik nach Ansicht von Habermas auch politisch gefährlich,
da sie die Gegenwartskritik auf ästhetische statt auf rationale Kriterien
zu gründen versucht und sich als ein »bekennende(r) Irrationalismus«
(Habermas 1985, 327) erweist.
Foucaults Befreiungsprojekt zeitige daher reaktionäre politische
Konsequenzen und sichert ihm nach Meinung von Habermas einen Platz in
der Reihe der „Jungkonservativen“, die in Frankreich von Bataille zu Derrida
reiche und die den Kampf gegen die moderne Gesellschaft auf der Grundlage
von Gefühl, Selbsterfahrung und Imagination führen (Habermas
1981, 13/14). Foucaults Arbeit sei weniger in der Tradition der Aufklärung
anzusiedeln, sondern nehme im Gegenteil bekannte Motive der Gegenaufklärung
auf und diene der Kritik an der Moderne insgesamt, wobei deren Komplexität
und Zweideutigkeit mit Hilfe eines totalisierten Machtbegriffs eingeebnet
werde (Habermas 1985, 341; 343). Die diagnostizierte Zuspitzung der Vernunftkritik
und die Verallgemeinerung des Machtbegriffs bei Foucault führt Habermas
auf die besondere politisch-intellektuelle Konjunktur in Frankreich nach
dem Mai 1968 zurück. Die theoretischen Optionen werden als eine überzogene
Reaktion auf die enttäuschenden Ergebnisse der Mairevolte und der
Bewegungen des Nach-Mai interpretiert: »Syndrome des linken Renegatentums«
(Habermas 1985, 302).
Axel Honneth hat mit seinem Buch Kritik der Macht eine der wichtigsten
Arbeiten zur Machtkonzeption Foucaults vorgelegt. Ausgangspunkt seiner
Untersuchung sind die gesellschaftstheoretischen Probleme der älteren
Kritischen Theorie von Adorno und Horkheimer, die in ihrer geschichtsphilosophischen,
an dem Modell der Naturbeherrschung orientierten Analyse des Zivilisationsprozesses
begründet seien. Honneth sieht die Ansätze von Foucault und
Habermas als zwei alternative Versuche, die Fragestellungen der Dialektik
der Aufklärung aufzunehmen und zugleich ihre Aporien aufzulösen.
Gemeinsam sei beiden Theorievarianten eine Orientierung am Modell des
Sozialen, das sie allerdings von entgegengesetzten Seiten erschließen:
Während sich Foucault auf das strategische Handeln und das Paradigma
des Kampfes stütze, gehe Habermas vom kommunikativen Handeln und
dem Modell der Verständigung aus.
Honneth analysiert die beiden Ansätze zwar als konkurrierende, nicht
aber als gleichwertige Versuche der Fortentwicklung der Kritischen Theorie
und betrachtet die unterschiedlichen Positionen von Adorno, Foucault und
Habermas aus der Perspektive eines schrittweisen analytischen Klärungsprozesses
als „Reflexionsstufen einer kritischen Gesellschaftstheorie“. Honneth
zeichnet in hegelianischer Manier die Bewegung eines theoretischen Fortschritts
nach, der von Adorno über Foucault zu Habermas verläuft. Während
Adorno der Objektbereich des Sozialen verschlossen geblieben sei, sei
Foucault nicht über ein defizientes Verständnis von Gesellschaft
hinausgekommen; erst Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns »entbehrt
nicht länger der Maßstäbe, anhand derer sich eine Kritik
des kapitalistischen Musters der Vergesellschaftung auszuweisen hätte«
(Honneth 1985, 333).
Ähnlich wie Habermas diagnostiziert auch Honneth einen »irritierenden
Widerspruch« in der Arbeit Foucaults: »während die gesamte
Rahmenkonstruktion seiner historischen Untersuchungen von moralischen
Überzeugungen lebt, für die gewissermaßen zwangsläufig
eine universale Geltung reklamiert werden muß, findet sich davon
nicht einmal ein Rest, sobald die Theorie systematisch expliziert wird«
(Honneth 1990, 16). In der Einschätzung sowohl von Honneth wie auch
von Habermas verfängt sich Foucault in der »Aporie einer totalisierenden
Vernunftkritik« (Honneth 1988, 137), ein Problem, das er mit Adorno
teilt. Als Ergebnis kann Foucault weder der Zweideutigkeit des modernen
Rationalitätsprozesses gerecht werden noch sich seines eigenen Mediums,
des rationalen Gehalts theoretischer Argumentationen, sicher sein. Ebenso
wie Habermas sieht Honneth die Konsequenz, dass Foucault politisches Engagement
letztlich nicht mehr begründen kann. Anders als Habermas betrachtet
Honneth diese normative Defizienz jedoch weniger als das Ergebnis eines
relativistischen Selbstdementis als in der kategorialen Bestimmung des
Sozialen als Kampffeld angelegt. Da sein strategisches Handlungsmodell
normativ gehaltvolle Übereinkünfte (Rechtsnormen, Moralvorschriften,
etc.) per definitionem ausschließe, resultiere die theoretische
Einklammerung normativer Geltungsansprüche in einem »politischen
Dezisionismus« (Honneth 1985, 181).
Auch Stefan Breuers Bilanz der Foucaultschen Machtanalyse fällt nicht
günstig aus. Breuer konzentriert seine Aufmerksamkeit v.a. auf das
Konzept der Disziplinargesellschaft in der Arbeit Foucaults. In Übereinstimmung
mit Habermas und Honneth sieht Breuer das Problem Foucaults in einer »Metaphysik
der Macht« (Breuer 1987, 324), in welcher Macht zum „Universalschlüssel“
für alle gesellschaftlichen und geistigen Phänomene avanciere.
Damit sei Foucaults Machtanalytik in mehrfacher Hinsicht reduktionistisch:
Weder werde sie der Zweideutigkeit moderner Machtmechanismen gerecht noch
könne sie die Bedeutung normativer Fragen erfassen. Die Genealogie,
die sich mit dem Anspruch auf Objektivität präsentiere, sei
»doch in Wahrheit reiner Subjektivismus« (Breuer 1987, 330).
Überraschenderweise führt Breuers vernichtendes Urteil jedoch
nicht dazu, dass er sich von Foucaults Analysen und dem Konzept der Disziplinargesellschaft
verabschiedet: »Tatsächlich ist das Konzept zu negieren und
festzuhalten zugleich« (Breuer 1987, 331). Für Breuer haben
Foucaults historische Studien durchaus empirische Aussagekraft und deskriptiven
Wert, die umso höher einzuschätzen sind als der Begriff der
Lebenswelt bei Habermas letztlich eigentümlich blaß und inhaltlich
leer bleibe. Breuer ist daher weniger an einer Aufgabe als an einer Reformulierung
des Begriffs der Disziplinargesellschaft interessiert, der die diagnostizierten
konzeptionellen Engpässe überwindet und im Rahmen einer systematischen
Gesellschaftstheorie neu artikuliert werden könnte (Breuer 1987,
336; Breuer 1986, 65).
II.
Waren die Kritikerinnen und Kritiker Foucaults mit ihrem Vorwurf der immanenten
Widersprüchlichkeit seiner Arbeit nicht im Recht? Hatten sie nicht
plausibel den theoretischen Zirkel geschildert, in dem sich Foucault verfing,
wenn er auf der Grundlage eines neutralen Machtbegriffs politischen Widerstand
proklamierte? Mußten diese Aporien, Widersprüche bzw. Paradoxien
nicht eine Auflösung in der einen oder anderen Richtung erfahren?
Es schien nur zwei Möglichkeiten zu geben. Nach der ersten Option
überwand Foucault seine konzeptionellen Probleme dadurch, dass er
der Neutralität seines Machtbegriffs Geltung verschaffte und seine
kritische Intention preisgab. Diese Operation hätte zur Konsequenz,
dass Foucault zum Parteigänger eines theoretischen Relativismus würde,
der nicht mehr zwischen besseren oder schlechteren, freieren oder unfreieren,
gerechten oder ungerechten Formen von Macht unterscheiden will. Im anderen
Fall mußte Foucault seine politischen Beweggründe und normativen
Wertentscheidungen explizieren und die Neutralität seiner Position
aufgeben, um die kritischen Maßstäbe seiner theoretischen Arbeit
deutlich zu machen und sie einer politischen Mobilisierung zu öffnen:
Entweder-oder.
Diese Diagnose einer mangelnden (Selbst-)Reflexivität der Machtanalyse
Foucaults machte ich mir am Anfang meiner Beschäftigung mit seiner
Arbeit zu eigen. Gleichzeitig gab es jedoch auch eine Reihe von Gründen,
die eine solche „Lösung“ zweifelhaft erscheinen ließen. Vielleicht
kann ich sagen, dass mein Umgang mit Foucaults „Paradoxien“ selbst eine
paradoxen Verlauf nahm: Je offensichtlicher und deutlicher mir Foucaults
„Problem“ vor Augen stand, desto mehr begann ich mich zu fragen, ob es
wirklich ein Problem war. Für meine zunehmende Skepsis gab es mindestens
drei Gründe.
Erstens war es sehr unwahrscheinlich, dass einem differenzierten und für
die politischen Folgen von Theoriebildung sensibilisierten Denker wie
Foucault ein so offensichtlicher Widerspruch verborgen geblieben sein
konnte. Das war ja auch nicht der Fall. Im Gegenteil: Wie u.a. Habermas
richtig bemerkt hatte, war sich Foucault seiner Paradoxien bewußt
- ohne allerdings seine Position in dieser Hinsicht zu verändern.
Die Frage stellte sich, warum Foucault es unterlassen hatte, seine widersprüchliche
Haltung aufzugeben, um das Problem in die eine oder andere Richtung aufzulösen.
Läßt sich diese Haltung tatsächlich auf einen »bekennenden
Irrationalismus« (Habermas 1985, 330) reduzieren, oder wollte Foucault
auf etwas anderes hinaus, und wenn ja, auf was? Wenn man also voraussetzt,
dass Foucault sich bewußt in Widersprüchen bewegt, was wollte
er damit erreichen?
Ein zweiter Grund - der mit dem ersten zusammenhängt - betraf die
besondere Form der Kritik an Foucault. So richtig und zutreffend ich die
Herausarbeitung von Widersprüchen in der Arbeit Foucaults auf der
einen Seite empfand, so gewann ich doch andererseits immer mehr den Eindruck,
dass dieses Unternehmen einen sehr unproduktiven und negativen Aspekt
besitzt. Es ist durch eine rationalistische Strategie gekennzeichnet,
die sich auf eine unzureichende theoretische Reflexion und intellektuelle
Fehlleistungen konzentriert. Die fehlende Selbstreflexivität und
die mangelnde Konsistenz der Arbeiten Foucaults wird beklagt und umgekehrt
eine kohärente theoretische Position gefordert, die mit den alten
Widersprüchen aufräumt. Aus dieser Perspektive erscheinen die
diagnostizierten »irritierenden Widersprüche« vornehmlich
als Produkt einer »theoretischen Inkonsistenz« (Taylor 1984,
210) bzw. als »das Ergebnis einer mangelnden Reflexion Foucaults
auf die normativen Grundlagen seiner eigenen Schriften« (Honneth
1990, 16), d.h. als Fehler oder Defizit der theoretischen Arbeit.
Ein dritter Aspekt betrifft die Vielfältigkeit und Beliebigkeit der
politischen Positionierungen Foucaults. Trotz einer ähnlichen Problemdiagnose
bleibt die politische Einschätzung Foucaults seltsam diffus: Haftet
ihm einerseits der Verdacht an, ein Parteigänger des »Jungkonservatismus«
(Habermas 1981, 13) zu sein, so gilt er anderen als Anhänger des
Nihilismus oder Anarchismus (Marti 1988, 149; Fink-Eitel 1990, 120-122);
rückt Axel Honneth ihn in der Nähe eines systemtheoretischen
Positivismus, so sieht Mark Poster in Foucault im Gegenteil jemanden,
der die Tradition des westlichen Marxismus »mit anderen Mitteln
fortsetzt« (Honneth 1985, 217-223; Honneth 1988, 142; Poster 1984,
39/40). Ironischerweise ist also die politische Einordnung und Bewertung
der Arbeit trotz der Ähnlichkeit der Problembeschreibungen keineswegs
einheitlich, sondern im Gegenteil unklar oder besser: widersprüchlich.
Die Folge dieser Überlegungen war, dass sich das „Problem“ Foucault
für mich verschob und die Kritik an Foucault auf die Seite der KritikerInnen
zurückfiel. Ich nahm mir die Interpretationen Foucaults noch einmal
vor und fand sie voller Mißverständnisse, Fehllektüren
und Vorurteile, in einem großen Teil der Sekundärliteratur
langweilige Wiederholungen von Gemeinplätzen, polemische Unterstellungen
und unproduktive Auseinandersetzungen, viele Vereinfachungen und Karikaturen
seines Denkens. Ein zentrales Problem dieser Kritiken ist, dass sie mit
einem Machtbegriff operieren, von dem Foucault sich explizit absetzen
wollte: Sie kritisieren Foucault auf der Grundlage und mit Hilfe eines
Machtbegriffs, dessen Probleme Foucault aufzeigen und hinter sich lassen
wollte. Anders als Foucault arbeitet die Kritik an seiner Arbeit
mit einer negativen Machtkonzeption, die sich auf Zwang, Unterdrückung,
Herrschaft etc. konzentriert und deren politische und historische Grenzen
für eine Analyse moderner Machtverhältnisse er gerade deutlich
machen wollte. So gesehen ist es weniger Foucault selbst als die Kritik
an Foucault, die eigentümlich selbstbezogen und steril bleibt. Der
Vorwurf der mangelnden Selbstreflexivität an die Adresse Foucaults
könnte dahingehend verstanden werden, dass Foucaults Fehler letztlich
darin bestünde, die theoretischen Grundannahmen seiner Kritikerinnen
und Kritiker nicht zu teilen. Aus diesem Grund ging ich mehr und mehr
dazu über, Foucaults theoretische Strategie zu „verteidigen“, zu
„rechtfertigen“, zu „legitimieren“ und die Probleme an anderer Stelle
zu suchen.
Aber auch diese Herangehensweise befriedigte mich letztlich nicht. Im
Gegenteil schien auch sie mir das Neuartige und Interessante an der Arbeit
Foucaults zu verstellen: Ich hatte nur die Seite gewechselt, war aber
der „Problematik“ insgesamt nicht entkommen. Diese Feststellung drängte
sich mir aus zwei Gründen auf. Erstens stellte sich die Frage nach
dem theoretischen Gewinn einer solchen Position: Argumentierte ich nicht
ebenso „rationalistisch“ wie die KritikerInnen, wenn ich die Probleme
allein in den Köpfen und den Theorien ansiedelte? Teilte ich nicht
die Strategie ihrer Kritik, die ich doch widerlegen wollte, wenn ich zu
zeigen versuchte, dass sich Foucault tatsächlich nicht in Widersprüche
verstrickt, diese vielmehr „nur“ in der Lesart der KritikerInnen existieren.
Ich akzeptierte in meiner Ablehnung und Zurückweisung der Kritik
implizit deren grundsätzliche Voraussetzungen, nämlich (a) dass
eine Theorie widerspruchsfrei zu sein habe; (b) dass es sich bei den konstatierten
Widersprüchen allein um Widersprüche des Denkens handelt und
(c) dass diese Widersprüche jede politische Praxis disqualifizieren.
Damit zusammen hing ein zweites, vielleicht noch größeres Problem:
Ich hatte versucht, die „wahre“, „richtige“ und „angemessene“ Interpretation
Foucaults gegen ihre Verkürzungen und Entstellungen zu behaupten.
Ich sah nicht, dass ich damit genau das „Wahrheitsspiel“ mitspielte, das
Fraser, Habermas u.a. vorexerziert hatten; dass ich ihnen, indem ich sie
zu widerlegen suchte, in und mit meiner Widerlegung Recht gab, indem ich
ihre Regeln akzeptierte. Indem ich nach der einen und exklusiven „Wahrheit“
Foucaults oder dem „wahren“ Foucault suchte, konnte ich seiner „Wahrheit“
gerade nicht gerecht werden. Gewiß war es richtig und wichtig, theoretisch
gegen bestimmte Fehllektüren anzugehen, die Foucault nicht gerecht
wurden und ebenso sicher gab es eine ganze Reihe von Fehlinterpretationen
seiner Arbeit. Dennoch durfte es aber nicht allein darum gehen, den „wahren“
Foucault gegen seine ignoranten Interpreten in Schutz zu nehmen. Diese
Argumentationsstrategie besaß zwei entscheidende Nachteile: Sie
war zum einen viel zu defensiv und nur auf die „Verteidigung“ eines bestimmten
theoretischen Terrains, bestimmter Begriffe und Konzepte ausgerichtet
und zum anderen bewegte sie sich selbst noch im Horizont der Kritik, der
sie gerade entgehen wollte. In meinem Versuch, den Intuitionen Foucaults
treu zu bleiben, indem ich sie gegen seine KritikerInnen verteidigte,
sah ich nicht, dass diese Art Frömmigkeit »die rührendste
Form des Verrats« (1984o, 11) ist. Auch dieser Weg führte also
nicht wirklich weiter: Er stellte das Problem nur auf den Kopf.
Ich mußte an den Anfang zurück und von vorne beginnen. Ich
hatte das Naheliegenste und Konkreteste übersehen: die Existenz eines
wirklichen Problems. Ich hatte mich noch gar nicht richtig damit auseinander
gesetzt, da wollte ich es schon aus der Welt schaffen. Für seine
Lösung verlegte ich mich aufs Interpretieren, suchte nach verborgenen
Wahrheiten und seltenen Referenzen - aber niemals hatte ich es ernst genommen.
Ich suchte nach dem, was andere über-sehen oder ignoriert hatten,
nach ihren Fehlern und Ver-sehen, statt von dem auszugehen, was sie tatsächlich
gesehen hatten. Ich mußte meinen Ansatzpunkt radikal verändern.
Ich durfte meine Schwierigkeiten (und die Schwierigkeiten anderer), Foucault
zu lesen nicht als intellektuellen Mangel, fehlende Textkenntnis oder
vorübergehendes Unverständnis ansehen, als ein zu beseitigendes
Hindernis auf dem Weg zum „richtigen“ Verständnis Foucaults, sondern
mußte meine Probleme und meine Irritation als Ausgangspunkt und
Vektor der Arbeit nehmen. Tatsächlich waren meine Probleme mit Foucault
nicht allein meine Probleme, sie hatten offensichtlich so etwas wie einen
„objektiven“ Status; die Übereinstimmung so vieler AutorInnen mit
unterschiedlichen theoretischen Interessen und politischen Orientierungen
in diesem Punkt deutete darauf hin, dass es in der Arbeit Foucaults etwas
gab, das Probleme provozierte oder produzierte.
Von dieser Perspektive aus wurde mir immer deutlicher, dass die Aporien,
Widersprüche, Paradoxien nicht einen Mangel oder Fehler der Arbeit
Foucaults konstituieren, den man wegerklären oder auflösen müßte;
im Gegenteil waren möglicherweise gerade sie es, die die theoretische
Bedeutung seiner Arbeit ausmachen und ihre „Problematik“ definieren.
Sollte diese Einschätzung zutreffend sein, mußte ich meinen
Ausgangspunkt völlig verändern. Die Frage, ob die hier referierte
Kritik an Foucault richtig oder falsch ist, ist möglicherweise eine
sekundäre und vielleicht eine letztlich langweilige Frage. Interessant
ist hingegen, dass es die Kritik in dieser Form gibt; unabhängig
davon, ob sie berechtigt ist oder nicht: Zunächst einmal ist sie
eine (diskursive) Tatsache, und es ist die Existenz oder Positivität
dieser Tatsache, an der ich ansetzen mußte. Sicherlich war ich „im
Recht“: Es gibt zahlreiche Mißverständnisse und Fehllektüren
im Umgang mit Foucault; wichtig ist jedoch nicht, Recht zu haben oder
zu behalten und die entscheidende und end-gültige Frage gerade nicht,
ob Foucault „wirklich“ theoretisch widersprüchlich sei oder nicht,
ob die InterpretInnen ihn „richtig“ gelesen haben oder nicht. Wichtig
war vielmehr die empirische Tatsache, dass er als widersprüchlich
wahr-genommen wurde.
Die Unfähigkeit, Foucault politisch zu situieren, war daher nicht
einfach ein Unvermögen und Mangel bezüglich der Einschätzung
der Arbeit Foucaults, sondern selbst ein Ergebnis und Ziel dieser Arbeit.
Die KritikerInnen Foucaults hatten ihn weniger falsch als vielmehr „richtig“
gelesen. Die hier referierte Kritik war daher nicht auf ihren Wahrheitsgehalt
zu befragen als vielmehr als ein „Symptom“ zu betrachten, dem ich mich
durch eine symptomale Lektüre nähern wollte.
III.
Wie aber sollte ich vorgehen? Ich entschied mich für einen Umweg,
um mich dem Problem aus einer anderen Richtung zu nähern. Tatsächlich
befand ich mich nämlich in einem Dilemma ganz eigener Art. Auf der
einen Seite war es zweifellos richtig, dass Foucaults machtanalytische
Arbeiten bis hin zu Überwachen und Strafen und Der Wille zum Wissen
bei allen Vorzügen auch eine Reihe von theoretischen Ambivalenzen
und methodischen Problemen transportierten - und in dem Hinweis auf diese
Probleme lag der „rationale Kern“ vieler kritischer Einwände an die
Adresse Foucaults. Allerdings ist die beständige Korrektur vorangegangener
Studien und ihres methodischen Instrumentariums stets ein charakteristisches
Merkmal der Arbeit Foucaults gewesen. Er wechselte nicht nur oft die Themen
und Gegenstände seiner Untersuchungen, sondern auch ihren konzeptionellen
Rahmen. Auf der anderen Seite kamen wichtige Weiterentwicklungen seines
analytischen Apparats in der Rezeption Foucaults kaum vor oder standen
unvermittelt neben früheren theoretischen Versuchen, um die These
einer immanenten Inkohärenz und Widersprüchlichkeit zu befördern.
Damit stand ich vor dem Problem, zugleich die Differenzen zu früheren
Positionen herauszuarbeiten und die Kontinuität in seinen Arbeiten
zu betonen.
Die hier kurz rekonstruierte Kritik an der Machtanalytik besitzt nämlich
eine entscheidende Legitimation und praktische Konsequenz. Eine Lektüre
Foucaults, die sich auf die Feststellung von Widersprüchen, Paradoxien,
Aporien beschränkt, ist meist mit der Annahme eines „theoretischen
Bruchs“ in seiner Arbeit verbunden und erklärt Foucaults späteres
Interesse für Subjektivität und Ethik im Sinne einer radikalen
Aufgabe der Machtproblematik. Dabei wird unterstellt, dass Foucault mit
der Problematik seiner früheren Arbeiten bricht, indem er das theoretische
Feld wechselt: Die Beschäftigung mit Subjektivierungspraktiken konstituiert
eine Zäsur in der Arbeit Foucaults und ist Zeichen wie Konsequenz
eines theoretischen Scheiterns. Die Diagnose eines „theoretischen Bruchs“
dient darüber hinaus meist als Grundlage einer Periodisierung und
chronologischen Dreiteilung seiner Arbeit: Hatte Foucault in den 60er
Jahren eine Archäologie des Wissens verfolgt, diese aber aufgrund
ihrer inneren Probleme zugunsten einer Genealogie der Macht in den 70ern
aufgegeben, so markiert die Theorie des Subjekts den Endpunkt seiner theoretischen
Entwicklung in den 80er-Jahren.
Diese Interpretation eines Dreischritts von der „Archäologie“ über
die „Genealogie“ zur „Subjekttheorie“ hat eine Reihe von Vorteilen. Sie
erlaubt, die theoretische Arbeit Foucaults als einen Fortschrittsprozeß
und eine Kreisbewegung zu konzipieren, bei der sich die letzten Arbeiten
Foucaults mit der Thematik der ersten Bücher berühren: vom „Tod
des Menschen“ in den frühen Arbeiten zur Entdeckung von Subjektivität
und Freiheit im „Spätwerk“. Dieses Interpretationsmodell nimmt Foucaults
Interesse für Diskontinuitäten auf, überträgt es auf
seine eigene Arbeit und zeigt uns einen Foucault, der schließlich
an den Anfang zurückkehrt: die Geschichte eines Irrtums und seiner
schließlichen Korrektur im Alter, die Frucht eines intellektuellen
„Reifungsprozesses“.
Allerdings ist diese Interpretation weniger eine Erklärung als selbst
erklärungsbedürftig. Anders als Foucault, für den die Feststellung
von Brüchen immer nur der Ausgangspunkt von Untersuchungen und nicht
ihr Endpunkt war, beschränkt sich diese Perspektive auf die Konstatierung
des Faktischen: die Veränderung des analytischen Instrumentariums,
des Untersuchungsgegenstands und -zeitraums, des Stils etc, welche Foucault
in den letzten Bänden der „Geschichte der Sexualität“ vornimmt.
Dies ist unbestritten. Da Foucault aber in jedem seiner Bücher signifikante
Veränderungen des Gegenstands und der theoretischen Arbeitsmittel
unternommen hat, stellt sich eher die Frage, ob es sich bei dieser Transformation
um einen Wechsel des theoretischen Felds, die Aufgabe der Machtproblematik
und die Hinwendung (bzw. die Rückkehr) zu etwas völlig anderem
handelt: Markiert Foucaults Interesse für antike Ethik und Subjektivität
den Abschied von der Machtanalytik, die sich insgesamt als Sackgasse erwiesen
hat?
Ich möchte in dieser Arbeit die umgekehrte These vertreten: Foucaults
Interesse für Subjektivierungsprozesse ist das Ergebnis und die Konsequenz
seiner Beschäftigung mit Machtpraktiken. Sie repräsentiert nicht
eine Aufgabe seiner Machtanalytik, sondern ihre Erweiterung. Es handelt
sich weniger um einen Abschied von der Machtproblematik als um eine Korrektur,
die in einer Kontinuität mit seinen früheren Arbeiten steht
und sie zugleich präzisiert und relativiert. Diese theoretische Veränderung
betrifft vor allem die Form der Konzeptionalisierung von Macht.
Meine Vermutung ist, dass Foucault zunehmend erkennt, dass auch das von
ihm in kritischer Absetzung von der juridischen Konzeption entwickelte
strategische Modell der Macht, welches Macht in Begriffen von Kampf, Krieg
und Eroberung analysiert, eine Reihe von Problemen aufwirft, die innerhalb
dieses theoretischen Rahmens kaum zu lösen waren. Ich konzentriere
mich vor allem auf zwei Probleme:
Das erste betrifft das Verhältnis von Subjektivität und Macht
und besteht darin, dass Foucault einerseits die Auswirkungen von Machtprozessen
auf Subjekte kritisiert, auf der anderen Seite aber Subjekte selbst tendenziell
als Produkte dieser Machtmechanismen auffaßt und in seinen Analysen
den Akzent auf die Zurichtung der Körper und ihre Produktion in disziplinären
Zwangsinstitutionen legt. Damit stellt sich aber die Frage, in welcher
Art und Weise sich Kategorien wie „Herrschaft“, „Zwang“, „Unterwerfung“
etc. weiter verwenden lassen, wenn Foucault zugleich betont, dass Subjekte
durch Machtprozesse erst hervorgebracht werden. Foucault kann sich zwar
von liberalen Konzeptionen absetzen, die die Freiheit der Subjekte der
Macht des Staates entgegenstellen, er ersetzt jedoch die Autonomie des
Subjekts durch seine Heteronomie in anonymen Strategien der Macht, so
dass die prinzipiellen Möglichkeiten und Voraussetzungen von Widerstandspraktiken
unklar bleiben.
Das zweite Problem betrifft den anderen Pol der liberalen Problematik:
die Macht des Staates. Foucault setzt Analysen von gesellschaftlichen
Makrophänomenen eine „Mikrophysik der Macht“ entgegen, die sich auf
lokale Praktiken und singuläre Institutionen konzentriert. Aber auch
in diesem Fall bleibt Foucault innerhalb der Problematik, die er kritisiert.
Es war nicht ausreichend, in Kritik an staatszentrierten Analysen den
Fokus der Analyse auf mikropolitische Phänomene zu richten und den
Staat allein als Resultante gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse
zu begreifen. Die Frage lautete, wie es auf Grundlage eines strategischen
Machtmodells möglich war, die Verstetigung von Machtstrukturen und
die dauerhafte Etablierung gesellschaftlicher Herrschaft in Form des „Staates“
zu erklären.
Als Konsequenz aus dem „strukturtheoretischen“ wie „subjekttheoretischen“
Defizit der Machtanalytik relativiert Foucault in der Folgezeit das Paradigma
des Kampfes zur Analyse sozialer Beziehungen. Hatte er die „Hypothese
Nietzsches“ als Kritik an der juridischen Machtkonzeption eingeführt,
so wird sich Foucault immer deutlicher der Grenzen einer Analyse bewußt,
die das Soziale allein unter dem Gesichtspunkt des Krieges betrachtet.
Ihm wird klar, dass er innerhalb der „Analytik der Macht“ an eine Grenze
gestoßen ist, die eine Veränderung des konzeptionellen Rahmens
erfordert. Notwendig war eine Erweiterung des analytischen Instrumentariums,
die es möglich machte, dem Verhältnis von Subjektivierungsprozessen
zu Formen gesellschaftlicher Herrschaft nachzugehen, um zu untersuchen,
»wie sich die Herrschaft über sich selbst in eine Praxis der
Herrschaft über andere integriert« (1984n, 158).
Wie ich zeigen will, steht im Mittelpunkt dieser »theoretischen
Verschiebung« (1984a, 12) der Begriff der Regierung (»gouvernement«).
Dieser markiert nicht die Aufgabe der Machtanalytik und den Übergang
zu Subjektivität; vielmehr führt Foucault mit „Regierung“ eine
neue Dimension in seine Machtanalyse ein und untersucht Machtbeziehungen
unter dem Blickwinkel von „Führung“, um sich sowohl vom Modell des
Rechts wie vom Modell des Krieges abzusetzen. Die Problematik der Regierung
ist ein Lösungsversuch für die genannten Probleme. Der zugrundegelegte
umfassende Begriff von Regierung erlaubt es zum einen, die traditionelle
Unterscheidung in mikro- und makropolitische Analyseebenen zu umgehen:
Die „politische Regierung“ als Regierung des Staates ist eine Form von
Regierung unter anderen. Gleichzeitig dient das neue Konzept dazu, das
Verhältnis der Regierung anderer („gouvernement des autres“) zu Formen
von Selbstregierung („gouvernement de soi“) zu erfassen und Subjektivierungsprozesse
substanzieller zu untersuchen als er dies in vorangegangenen Arbeiten
vornehmen konnte.
Der Regierungsbegriff ist von herausragender Bedeutung für das Verständnis
der Arbeit Foucaults. Seine innovative Kraft bezieht er vor allem aus
der „Scharnierfunktion“, die Foucault ihm zuspricht: Erstens konzipiert
er Regierung als das Bindeglied zwischen strategischen Machtbeziehungen
und Herrschaftszuständen und differenziert jetzt im Gegensatz zu
früheren Arbeiten zwischen Herrschaft und Macht, wobei es die Regierungsperspektive
ist, die eine solche Unterscheidung zugleich möglich und notwendig
werden läßt (1984s, 26/27). Zweitens vermittelt der Regierungsbegriff
zwischen Macht und Subjektivität und untersucht, wie sich Herrschaftstechniken
mit »Technologien des Selbst« verknüpfen (1981c, 36;
1988b, 27).
Angesichts der Bedeutung, die Foucault dem Begriff der Regierung beimißt,
ist es erstaunlich, dass diese wichtige Korrektur der Machtanalytik kaum
diskutiert wird. Die Regierungsproblematik ist in der Auseinandersetzung
um die theoretische und politische Dimension der Arbeit Foucaults praktisch
abwesend. Die meisten KommentatorInnen nehmen die strukturellen Veränderungen
der „Genealogie der Macht“ nicht wahr und interpretieren die nicht zu
übersehenden Verlagerungen des Untersuchungsgegenstands und der -begrifflichkeiten
im Sinne eines Übergangs von der „Politik“ zur „Ethik“. Dies mag
daran liegen, dass Foucault sich im Rahmen des Projekts der „Geschichte
der Sexualität“ zunächst vor allem auf einen Pol innerhalb der
Regierungsproblematik konzentriert hat: Formen von Selbstverhältnissen
bzw. „Technologien des Selbst“. Sein früher Tod hat die geplante
Ausarbeitung der im engeren Sinn politischen Dimension von Regierung verhindert.
Ein weiterer Grund ist sicherlich, dass die meisten der Vorlesungen, in
denen Foucault den Regierungsbegriff entwickelt, bis heute unveröffentlicht
geblieben sind. Ein großer Teil dieser Arbeit wird daher darin bestehen,
die bis heute weitgehend unbekannten Vorlesungen der Jahre 1978 („Sécurité,
territoire et population“) und 1979 („Naissance de la biopolitique“) am
Collège de France zu rekonstruieren, in denen Foucault die Thematik
der Regierung angegangen ist. Damit ist sicher schon ein vordringliches
Ziel dieser Arbeit benannt: die bisher in der Foucaultdiskussion abwesenden
Texte und Tondokumente zum ersten Mal einem größeren Publikum
in systematischer Form vorzustellen.
Die Verlagerung der Machtanalytik hin zur Regierungsproblematik bringt
uns wieder zu der Ausgangsfrage zurück. Durch die Einführung
dieser „theoretischen Verschiebung“ wird der Stellenwert von Kritik und
Widerstand in der Arbeit Foucaults deutlich konkretisiert und substantialisiert.
Im Mittelpunkt seines Interesses innerhalb der Regierungsthematik steht
das Verhältnis von Macht, Wahrheit und Subjektivität. Seine
historische These lautet, dass ein wesentliches Charakteristikum der westlichen
Macht darin besteht, dass sie Individuen mit Hilfe und in Übereinstimmung
mit einer Wahrheit „führt“, die sie selbst produziert. Foucault identifiziert
Regierung als eine spezifische Form der Machtausübung, die weniger
als repressiver Zwang oder als ideologische Verstellung funktioniert,
sondern im Gegenteil über die Produktion von Wahrheit operiert. Im
Unterschied zu anderen Machtformen verlangt Regierung auf der Seite der
Individuen nicht nur Unterwerfung und Gehorsam, sondern Wahrheitsakte.
Foucaults zentrales Problem ist daher die Frage, »wie Menschen sich
selbst und andere über die Produktion von Wahrheit regieren«
(1980b, 27).
Wenn es richtig ist, dass der »Wille zur Wahrheit« (Foucault)
zu einem festen Bestandteil der politischen Rationalität geworden
ist, dann hat dies schwerwiegende Folgen für Formen politischer Kritik,
die allein vor der Kontrastfolie der Unwahrheit der gesellschaftlichen
Verhältnisse argumentierten, wie z.B. solche, die um die Begriffe
der Repression auf der einen und der Ideologie auf der anderen Seite zentriert
sind. Beide Kritikformen besitzen eine gemeinsame Strategie: Sie konzentrieren
sich auf die „Falschheit“ oder „Irrationalität“ gesellschaftlicher
Verhältnisse und kritisieren Machtbeziehungen in ausschließlich
negativen Begriffen wie Irrtum, Verstellung, Verblendung, Unterdrückung,
Gewalt, Zwang etc. Foucault zufolge besteht das politische Problem jedoch
weniger in der Unwahrheit als der Wahrheit gesellschaftlicher Verhältnisse,
nicht in der Irrationalität der Macht, sondern ihrer Rationalität,
nicht in der „Negativität“ der Macht, sondern ihrer „Positivität“.
Der Begriff der Wahrheit, auf dessen Grundlage eine Kritik der Gesellschaft
vorgenommen werden soll, ist in dieser Perspektive weniger eine Lösung
als selbst ein wichtiger Teil des Problems in einer Gesellschaft, in der
Wissensformen und Machtverhältnisse eng miteinander verschränkt
sind. Foucaults Frage ist daher nicht »die Ökonomie des Nicht-Wahren«,
sondern »die Politik des Wahren« (1977k, 189).
Diese forschungsleitende Frage führt jedoch nicht - wie viele InterpretInnen
annehmen - zur Konsequenz eines theoretischen Relativismus, dem alle Wahrheitsansprüche
gleich-gültig sind; noch beschränkt sie sich auf eine individualistische
oder voluntaristische Strategie. Es reicht daher nicht aus, seiner Arbeit
den universalistischen Spiegel vorzuhalten, um ihre „Widersprüche“,
„Paradoxien“ oder „Aporien“ aufzuzeigen und sie auf ein „Wahrheitsspiel“
zu verpflichten, dessen Probleme sie aufzeigen will. Foucault geht es
vielmehr um die Entwicklung einer »Grenzhaltung« (1984d, 48),
die sich einem Entweder-oder verweigert, indem sie sich den „Alternativen“
eines Wahrheitsabsolutismus auf der einen und seiner relativistischen
Auflösung auf der anderen Seite entzieht.
Dafür zahlt er jedoch einen hohen Preis. Foucaults Interesse an den
historischen Formen der Unterscheidung von wahr und falsch macht seine
eigene Arbeit in dem Maße angreifbar, wie er sich der Universalität
des „Wahrheitsspiels“ verweigert und damit außerhalb „des Wahren“
stehen muß. In dieser Hinsicht teilt er das Schicksal Mendels, das
er in der Ordnung des Diskurses beschrieben hat:
»Man hat sich oft gefragt, wie die Botaniker oder die Biologen des
19. Jahrhunderts es fertig gebracht haben, nicht zu sehen, dass das, was
Mendel sagte, wahr ist. Das liegt daran, dass Mendel von Gegenständen
sprach, dass er Methoden verwendete und sich in einen theoretischen Horizont
stellte, welche der Biologie seiner Epoche fremd waren [...]. Mendel sagte
die Wahrheit, aber er war nicht ‘im Wahren’ des biologischen Diskurses
sei-ner Epoche: biologische Gegenstände und Begriffe wurden nach
ganz anderen Regeln gebildet. Es mußte der Maßstab gewechselt
werden, es mußte eine ganz neue Gegenstandsebene in der Biologie
entfaltet werden, damit Mendel in das Wahre eintreten und seine Sätze
(zu einem großen Teil) sich bestätigen konnten. Mendel war
ein wahres Monstrum, weshalb die Wissenschaft nicht von ihm sprechen konnte«
(1971a, 24/25).
IV.
Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil („Die Mikrophysik
der Macht“) wird die „Genealogie“ der Machtanalytik vorgestellt. Hatte
Foucault sich in den 60er-Jahren in dem Projekt einer „Archäologie
des Wissens“ auf die inneren Formationsregeln von Diskursen konzentriert
und die Frage ihrer Determination durch politische, soziale und ökonomische
Faktoren weitgehend ausgeklammert, so thematisieren die Arbeiten seit
seiner Antrittsvorlesung am Collège de France das Problem der „Ordnung
des Diskurses“. Das Verhältnis von Machtprozessen und Wissensformen
rückt in den Mittelpunkt seines theoretischen Interesses. Allerdings
orientiert sich Foucault in dieser frühen Phase der Machtanalyse
vor allem an Machtformen, die er später als „negativ“ charakterisiert:
Ausschließung, Zwang, Unterdrückung, Verbot, etc. In den politischen
und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen nach dem Mai 1968 (v.a. durch
das Engagement in der Gefängnisbewegung) erkennt Foucault die Defizite
dieser Analyserichtung. Überwachen und Strafen, das Produkt seiner
theoretischen Beschäftigung mit dem Strafsystem, artikuliert den
„technologischen“ und „strategischen“ Charakter der Machtbeziehungen und
ersetzt eine juridisch-negative Konzeption der Macht durch eine strategisch-positive.
Ihren privilegierten Gegenstand besitzt diese „Mikrophysik der Macht“
in der disziplinären Formierung des Individualkörpers, ihr analytisches
Referenzmodell bilden Kriege, Kämpfe, Schlachten, Eroberungen etc.
Dieses methodische Vorgehen hat den Vorzug, die Schwächen traditioneller
politischer Untersuchungsmethoden herauszustellen, die das Politische
vor allem aus der Perspektive des Rechts thematisieren. Dennoch resultieren
aus dieser „kriegerischen“ Analyseform zwei schwer wiegende Probleme,
die letztlich zur Aufgabe der „Hypothese Nietzsches“ führen. Die
erste Frage betrifft das ungeklärte Verhältnis von Mikro- und
Makrophysik der Macht, von individueller Disziplinierung und gesellschaftlicher
Kontrolle, die zweite zielt auf die reduzierte Konzeptionalisierung der
Beziehungen zwischen Subjektivität und Macht, wobei Individuen vor
allem unter dem Gesichtspunkt ihrer disziplinären Zurichtung analysiert
werden und selbst die prinzipielle Möglichkeit von Widerstandsstrategien
fraglich erscheint.
Im zweiten Teil („Die Gouvernementalität“) wird das Konzept der Regierung
als Antwortversuch auf die beiden dargestellten Probleme eingeführt.
Während der Begriff der „Bio-Macht“ das Feld der Analyse um die Dimension
der Regulierung der Bevölkerung erweitert, die zu der Disziplinierung
der Individualkörper hinzutritt, geht die Problematik der Regierung
noch einen Schritt weiter: Sie vergrößert nicht nur das Feld
der Analyse, sondern verändert auch die Form der Konzeptionalisierung,
indem sie in Absetzung sowohl zu dem juridischen wie zu dem strategischen
Modell Macht als „Führung“ bestimmt. Gleichzeitig verliert die Disziplinarmacht
ihre politische und theoretische Priorität: Sie wird den Regierungstechniken
untergeordnet und bildet nur noch eine Form der Macht unter anderen.
Die Regierungsproblematik versetzt Foucault in die Lage, auf die skizzierten
theoretisch-politischen Probleme zu antworten, indem er sie zum Ausgangspunkt
seiner weiteren Forschungen macht. Er unternimmt zum einen eine „Genealogie
des modernen Staates“, in deren Zentrum die Entwicklung der modernen politischen
Rationalität steht und untersucht zum anderen die „Genealogie des
modernen Subjekts“, die der Frage nach den Konstitutionsbedingungen unserer
„westlichen“ Erfahrung von Subjektivität nachgeht. Während dieses
Vorhaben den Gegenstand der „Geschichte der Sexualität“ bildet, steht
jenes im Mittelpunkt der Vorlesungen von 1978 und 1979 am Collège
de France.
In den Vorlesungen über die „Genealogie des modernen Staates“ untersucht
Foucault zunächst den mutmaßlichen Entstehungskontext der modernen
politischen Rationalität: das christliche Pastorat. Seine historische
These lautet, dass die innerhalb des Christentums entwickelten Führungstechniken
angesichts religiöser Zersplitterung und politischer Konzentration
zu Beginn der Neuzeit eine Ausweitung und Säkularisierung erfahren
haben. „Staatsraison“ und „Polizei“ bilden nach diesem Interpretationsmodell
konkrete Antworten auf die Frage nach dem Gegenstand und den Zielen der
Regierung. Sie stellen eine Rationalität der Regierung bereit, die
sich nicht mehr religiös, sondern „politisch“ bestimmt und allein
auf das Anwachsen der Stärke des Staates zielt. Foucault zufolge
wird diese Legitimation politischer Souveränität im 18. Jahrhundert
zunehmend in Frage gestellt. An die Stelle der alten Regierung, die den
Staat aus sich selbst heraus begründete, tritt eine liberale Gouvernementalität,
die die politische Vernunft auf das ökonomisch-rationale Handeln
nutzenmaximierender Individuen verpflichtet.
Mit dem Aufkommen der Sozialen Frage im 19. Jahrhundert erfährt die
liberale Rationalität eine Reihe von tiefgreifenden Veränderungen.
Die Untersuchungen von SchülerInnen und KollegInnen Foucaults (u.a.
Robert Castel, Jacques Donzelot, François Ewald, Giovanna Procacci)
zeigen, wie die Konzeption eines liberalen Programms gesellschaftlicher
Regulierung mehr und mehr dem Diagramm einer „Sicherheitsgesellschaft“
Platz macht, welche die ökonomische Vernunft durch Elemente einer
„sozialen“ Rationalität ergänzt. Gegenstand des letzten Kapitels
des zweiten Teils ist Foucaults Lektüre neoliberaler Autoren. Insbesondere
in den Arbeiten der Chicagoer Schule sieht Foucault über eine Sozialstaatskritik
hinaus den Versuch der Entwicklung einer neuen Regierungsrationalität,
die auf eine Ausdehnung der ökonomischen Form auf das Soziale zielt.
Im dritten Teil („Politik und Ethik“) wird Foucaults „Genealogie des modernen
Subjekts“ unter dem Gesichtspunkt von Regierung als Führung des Selbst
verhandelt. In der „Geschichte der Sexualität“ analysiert Foucault
die Differenz verschiedener Subjektivierungsformen von der griechischen
Antike bis zum Frühchristentum am Beispiel der moralischen Erfahrung
der Sexualität. Das methodische und politische Interesse konzentriert
sich jedoch nicht auf ein unkritisches Plädoyer für antike Selbstführungskonzepte;
vielmehr definiert Foucault „Ethik“ als (Lebens-)führung, und es
sind die Fragen nach der Beziehung zwischen Subjektivität und Macht
einerseits und dem Verhältnis von Macht und Wahrheit andererseits,
die im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen.
Durch den Regierungsbegriff gelingt es Foucault, den Stellenwert von Subjektivität
und die Perspektiven von Widerstand wesentlich deutlicher als in seinen
früheren Arbeiten zu fassen. Dies wird ermöglicht durch die
Einführung neuer Begriffe (Selbsttechnologien, Freiheitspraktiken,
etc.) und die Differenzierung zwischen Macht und Herrschaft. Wenn das
Spezifische der (christlichen) Führungstechniken in ihrer Koppelung
an die Produktion von „Wahrheit“ besteht, so richtet sich umgekehrt Foucaults
„Politik des Wahren“ gegen moderne Subjektivierungsformen, die auf der
Konzeption einer „wahren“ Subjektivität aufbauen. Diese Distanzierungsbewegung
wird ermöglicht durch die methodische Eigenart einer „Geschichte
der Wahrheit“, die die Geschichtlichkeit (und damit die Kontingenz und
Willkürlichkeit) jener universellen und notwendigen Wahrheits-Zwänge
zeigt, denen zu gehorchen wir unablässig aufgefordert werden.
Abschließend soll diese Form der Kritik in Abgrenzung sowohl von
universalistischen wie relativistischen Kritikvarianten vorgestellt werden.
Als Grundlage dient Foucaults Auseinandersetzung mit Kant und der Frage
der Aufklärung. Foucault sieht sein kritisches Unternehmen als integralen
Bestandteil der Tradition der Aufklärung. Im Unterschied zu dem Vorhaben
einer „Analytik des Wahren“, das nach den formellen Bedingungen der Rationalität
fragt, geht es Foucault darum, Kritik als Antwort auf die Regierungstechniken
zu bestimmen: als Kampf um die Wahrheit und Verweigerung von Führungsverhältnissen.
Dies bedeutet jedoch auch, dass sich eine so verstandene Kritik weniger
auf ein Wissen gründet, das sie legitimiert als dass sie eine „Haltung“
oder ein „Ethos“ verkörpert. Es ist diese Konzeption einer anderen
(„unbegründeten“, „unberechtigten“) Form der Kritik, die sich gerade
nicht durch den Bezug auf ein Recht oder eine Wahrheit legitimiert, sondern
Kritik aus sich selbst heraus ohne jede Zensurinstanz begründet,
die die Irritation im Umgang mit Foucault produziert: als „Problematisierung“
der Art und Weise, wie wir heute Kritik üben, als Formulierung von
Fragen, auf die andere immer schon Antworten haben. Die „Aporien“, „Widersprüche“
oder „Paradoxien“ Foucaults haben daher den konkreten Effekt, uns immer
wieder mit jenen „Selbstverständlichkeiten“ und „Wahrheiten“ zu konfrontieren,
die für uns die nicht mehr hinterfragbare Grundlage jeder Kritik
bilden.
V.
Noch ein paar Worte zu der Zielsetzung dieser Arbeit - und den sich daraus
ergebenen Grenzen. Es ging mir vor allem darum, eine theoretische Veränderung
in der Machtanalytik Foucaults aufzuzeigen, die bisher kaum berücksichtigt
wurde. Diese Schwerpunktbestimmung hat notwendig zur Folge, dass die historischen
und politischen Bedingungen der Theoriebildung nur am Rande Eingang in
diese Arbeit gefunden haben. Dies ist zweifellos ein Mangel, da gerade
Foucault Theoriebildung immer als Teil einer „Geschichte der Gegenwart“
begriffen hat und die Veränderungen der Gegenstände und Untersuchungsmethoden
seiner Arbeit auch eine Antwort auf konkrete historische Fragen und politische
Herausforderungen waren. Es ist daher kaum vertretbar, eine Studie über
die Machtanalytik Foucaults zu schreiben, ohne die spezifische politische
und gesellschaftliche Situation Frankreichs, die Eigenart der französischen
Linken, die Auseinandersetzung mit dem „real existierenden Sozialismus“
und den osteuropäischen Dissidenten, die Bedeutung der „Neuen Philosophen“,
das Aufkommen neuer sozialer Bewegungen etc. einzubeziehen.
Dennoch habe ich diesen Weg nicht verfolgt. Erstens ist es nicht mein
Interesse, die „Genealogie der Genealogie“ zu unternehmen, die historischen
Existenzbedingungen der Arbeit Foucaults zu untersuchen, den diskursiven
Voraussetzungen nachzugehen, die ihre Aufnahme ermöglicht haben.
Mein Unternehmen ist wesentlich anspruchsloser: Ich habe mich lediglich
auf die Texte und die Systematik der Arbeit konzentriert und deshalb die
politisch-historischen „Kontexte“ kaum oder nur ansatzweise verfolgt.
Mein Ziel ist es, die Form der Kritik und das methodische Vorgehen Foucaults
zu untersuchen, weil mir diese zwei - eng miteinander verknüpften
- Punkte die meisten Probleme bereiteten und mich Foucaults „Werkzeugkiste“
vor allem in Hinblick auf heutige Fragen interessiert.
Es gibt noch einen zweiten Grund, warum ich den historisch-politischen
Bedingungen der Theoriebildung weitgehend aus dem Weg gegangen bin. Ich
wollte unter keinen Umständen in dieser Untersuchung einem Ableitungsmuster
folgen, um zu analysieren, wie politische Bedingungen die Theorie „geprägt“
haben oder umgekehrt Theorie politisch „eingesetzt“ wurde. Ich wollte
darüber hinaus auch nicht der Frage nachgehen, wie sich Foucaults
Theoriebildung in seinem politischen Engagement „niederschlägt“ oder
seine Politik von seiner Theorie „beeinflußt“ wurde, um von einem
„Parallelismus“ oder einer „Kohärenz“ zwischen Foucaults linksradikalen
Interventionen und seinen theoretischen Arbeiten auszugehen und einen
„logischen“ (oder „paradoxen“, „widersprüchlichen“ etc.) Zusammenhang
zwischen beiden zu konstatieren.
Der Grund dafür liegt in dem Gegenstand dieser Arbeit. Eine „logische“
Bindung zwischen Theorie und Politik in Frage gestellt zu haben, um eine
Form der Kritik zu skizzieren, die weniger dem Zwang einer theoretischen
Notwendigkeit folgt als der Freiheit einer praktischen Haltung, ist -
scheinbar paradox - eine der wichtigsten theoretischen Leistungen Foucaults.
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